Schriftarchäologie

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1.3. Zum Alter der minoischen Schrift

Seit dem Jahr 1997 hat der Hinweis auf eine mögliche Verwandtschaft der minoischen Linear A-Schriftzeichen aus Kreta mit den Urbildern der Keilschrift aus Uruk im Nahen Vorderen Orient viele kritische Kommentare provoziert. Ein häufiges Argument sachverständiger Professoren hielt fest, die beiden Schriftsysteme lägen zeitlich zu weit auseinander.

1998 meinte Professor Edzard, ein Spezialist für Assyrologie und Hethitologie, der zeitliche Abstand (zwischen den Schriftzeichen aus Uruk und jenen aus Kreta) belaufe sich auf 15 bis 17 Jahrhunderte. Die mesopotamischen bildnahen Zeichenformen seien innerhalb weniger Schreibgenerationen mehr abstrakten Formen gewichen. Einem Schreiber der Ägäis wäre es um 1500 v. Chr. völlig unmöglich gewesen, eine sehr bildnahe Schrift zu regenerieren.

Am 23. Februar 2000 schrieb Professor Kyriakidis aus Cambridge, dass der chronologische Zusammenhang zwischen den beiden Schriften ein interessanter Punkt sein dürfte. Wenn man sie vergleiche, müssten sie wohl gleichzeitig sein oder gleiche Vorfahren haben.

Am 13. Juli 2000 schrieb Professor Neumann aus Würzburg, dass seines Erachtens der nicht unerhebliche Abstand in Raum und Zeit zwischen beiden Schriftsystemen zu erörtern wäre.

Am 23. August 2000 wies Professor Sallaberger aus München darauf hin, dass die Hypothese zunächst legitim sei, für Linear A orientalische Einflüsse zu suchen. Doch die Schriftstufe des späten 4./ frühen 3. Jahrtausends in Mesopotamien könne man nicht mehr im 2. Jahrtausend erwarten.

Noch am 20. Dezember 2011 wies Professor Röllig aus Tübingen darauf hin, dass die Zeichen der archaischen Schrift aus Uruk chronologisch ins ausgehende 4. Jahrtausend v. Chr. gehören und dass die Schriftzeugnisse von Linear A in die Zeit zwischen 1700 und 1500 datiert werden, also rund 1 ½ Jahrtausende jünger seien als die Uruk-Schrift. Es frage sich, wann das zueinandergekommen sein soll.

Merkwürdiges am Diskos von Phaistos

Das längste bis heute gefundene schriftliche Zeugnis in der kretischen Linear A-Schrift steht auf einer runden Tonscheibe, genannt Diskos von Phaistos. Sein Text ist spiralförmig in den Lehm gestempelt worden. Da er gebrannt ist, blieb er erhalten. Man kennt bisher keine allgemein akzeptierte Entzifferung. Möglicherweise hilft eine kritische Betrachtung des Kunstwerks weiter. Auf der einen Seite fällt nämlich auf, dass die Schriftzeichen von einem hochbegabten Schriftschneider geschaffen worden sind. Ihre Genauigkeit und Aussagestärke beeindrucken den Betrachter. Auf der anderen Seite besteht zwischen der kunstvollen Präzision der Lettern und der ungelenken, ja verständnislosen Machart des Diskos eine auffällige Diskrepanz. Durchmesser und Dicke der Tonscheibe sind in krassem Gegensatz zu den Schriftstempeln so unpräzis, dass der Hersteller des Diskos kaum mit dem Schöpfer der Schriftzeichen identisch sein kann. Gleichzeitig ist zu sehen, dass einzelne Zeichen offensichtlich auffällig klein geraten sind. Hat da vielleicht jemand den lückenhaften „Setzkasten“ ergänzt? Ausserdem sind die Trennlinien zwischen den Schriftzeichen von wenig geübter Hand, ohne Schwung und mit stümperhaftem Duktus nachgezogen worden. Schliesslich hat der Hersteller den Falken so unachtsam eingestempelt, dass der Vogel die Beute einmal normal unter sich, einmal neben sich und ein anderes Mal unnatürlich über sich trägt. Auch beim Zeichen des kleinen Tierkopfes scheint der Hersteller die korrekte Stellung des Stempels nicht erfasst zu haben. Der Abdruck erscheint wahlweise vorwärts, aufwärts und sogar rückwärts gerichtet. Das Zeichen, das eine Tierhaut abbildet, wurde ebenfalls einmal aufrecht, ein anderes Mal mit dem Hals nach unten gestempelt. Ein weiteres Indiz für mangelndes Wissen des Herstellers sind mehrere Korrekturen mit dem nachträglich eingetragenen Kreiszeichen mit den sieben Punkten.

Was bedeutet das?

Diese Mängel, ja Fehler, legen folgenden Schluss nahe: Beim Diskos von Phaistos dürfte es sich um eine Abschrift eines Laien oder Schülers nach einer alten Vorlage handeln. Dem Hersteller des Diskos fehlte offensichtlich ein grundlegendes Verständnis des Textes. Zudem mangelte es ihm an handwerklichem und künstlerischem Können. Es lässt sich nicht ausschliessen, dass seine Vorlage erheblich älter war, als der Diskos selber. Das könnte eine Erklärung der Frage vieler Wissenschafter zum Alter der minoischen Schrift sein. König Minos hätte in der von mir vermuteten frühen Zeit des „Originaldiskos“ mit einiger Wahrscheinlichkeit akkadisch gesprochen, lange bevor auf Kreta griechisch gesprochen und in Linear-B geschrieben worden ist.

Diese Seite wurde aktualisiert: 3.1.2021

Hans A. Glarner

CH 8702 Zollikon


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Hans A. Glarner
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